Knäuel am Implantat

Das Wettrennen zwischen den Zellen des Körpers und schädlichen Bakterien könnte Helmut Schubert vom Institut für Werkstoffwissenschaften und -technologien der TU Berlin zugunsten der Körperzellen entscheiden.

Dabei geht es dem Forscher allerdings nicht um sportliche Höchstleistungen, sondern um die Lösung eines brennenden medizinischen Problems: Fällt ein Körperorgan aus, könnte ein technisches Gerät wie ein künstliches Herz oder eine Pumpe für Insulin weiterhelfen.

Die Leitungen von diesem Gerät in den Körper werden meist rasch von Bakterien besiedelt, die gefährliche Infektionen verursachen. Deshalb entwickeln die TU-Forscher Beschichtungen, auf die sich Zellen des Körpers dauerhaft anheften und so den Mikro-organismen keinen Raum geben. Damit haben die Zellen das gefährliche Wettrennen für sich entschieden.

Leicht fällt dieser Sieg nicht, schließlich wimmeln auf der Haut eines Men-schen ähnlich viele Bakterien wie er Zellen im Körper hat. Die Haut schützt sich mit einer Fettschicht vor den Mikroorganismen. Bisher aber gelang es nicht, einen solchen schützenden Fettfilm für technische Implantate zu entwickeln. Auch Versuche mit Kunststoffen, die Silberionen enthalten, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Silberionen töten zwar wie erwartet die Bakterien, greifen aber auch die Zellen des Körpers an, die daher nicht mehr anwachsen.

Implantieren Ärzte eine Leitung in den Körper, beginnt die Haut in der Nähe zu wachsen, um die Wunde zu schließen. Stoßen die wachsenden Zellen auf die Haut auf der gegenüber liegenden Seite der Wunde, sendet diese einen Botenstoff aus, der das Wachstum stoppt. Die künstliche Leitung in den Körper kann solche Signale natürlich nicht aussenden und die Haut wächst auch dann weiter, wenn sie längst das Implantat erreicht hat. Dadurch bilden sich Taschen, die oft einen idealen Brutraum für Bakterien bilden.

Verhindern könnte man das, wenn die Zellen des Körpers schneller an der künstlichen Leitung festwachsen als die Bakterien. Es gibt sogar ein Beispiel aus der Natur: Dem Hirscheber “Babyrousa babyrousa” auf der indonesischen Insel Sulawesi wachsen die Hauer nicht nach vorne aus dem Maul heraus, sondern durchbrechen die Haut des Rüssels nach oben. Da Infektionen an der Durchbruchstelle praktisch nicht auftreten, wie pathologische Untersuchungen von Ulrich Gross zeigten, nahmen sich die TU-Forscher dieses seltene Tier zum Vorbild.

Genau wie alle Zähne von Säugetieren, besteht der Zahnschmelz der Hirscheberhauer zu mehr als neunzig Prozent aus dem Mineral Hydroxylapatit. Als Michael Meyer in der TU-Gruppe von Helmut Schubert in seiner Doktorarbeit Material für Hautdurchleitungen mit diesem Hydroxylapatit beschichtete, hefteten sich die Zellen viel schneller darauf fest als vorher. Raut der Forscher die Oberfläche vor dieser Beschichtung auch noch auf, bildet sich so rasch ein Film lebender Körperzellen auf dem Implantat, dass die Bakterien praktisch keine Chance mehr haben.

Leitungen mit künstlichem Zahnschmelz als Außenbeschichtung eignen sich daher als Implantate, die von äußeren Geräten in den Körper hineinführen und die so die Funktion ausgefallener Organe übernehmen können. Ideal sind sie aber trotzdem noch nicht. Während der Hauer des Ebers starr durch die Haut des Rüssels sticht, sollte die Haut an einem Implantat noch ein wenig beweglich bleiben.

Um dieses Ziel zu erreichen, wirft TU-Forscher Helmut Schubert wieder einen Blick auf den Hirscheber: Auch die Oberhaut ist mit der Unterhaut des Körpers zwar sehr fest, aber eben auch sehr beweglich verbunden. Zwar gab es bereits Spekulationen, wie dieser Zusammenhalt zustande kommt, genaue Untersuchungen dazu aber fehlten, weil sie mit normalen Mitteln kaum durchführbar sind. Als Helmut Schubert aber modernste Analysemethoden der Werkstoffwissenschaft einsetzt, kommt er dem Rätsel auf die Spur. Aus beiden Hauttypen ragen lange Eiweiß-Fäden, jeweils ein Faden der Unterhaut bildet dabei eine Schlaufe mit einem anderen Eiweiß der Oberhaut. Da es sehr viele dieser “Verbindungsfäden” gibt, ähnelt der Übergang “ein wenig einem Spaghetti-Knäuel, wie es in der Mensa manchmal serviert wird”, erklärt Helmut Schubert. Entwirren lässt sich so ein Knäuel kaum, wissen die Studenten der Welt. Deshalb halten Unterhaut und Oberhaut auch fest zusammen und bleiben doch ähnlich beweglich wie das Spaghetti-Knäuel. Jetzt müssen die TU-Forscher nur noch künstliche Fäden auf ihre Implantate aufbringen, um den Zellen des Körpers ein optimales, aber bewegliches Verknäueln zu ermöglichen.

Roland Knauer

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Helmut Schubert, Institut für Werkstoffwissenschaften und -technologien der TU Berlin, Englische Straße 20, 10587 Berlin, Tel.: 030/314-23425, E-Mail: schubert@ms.tu-berlin.de

Weiterführende Links zum Thema:

“Herstellung von Hydroxylapatitschichten auf Silikonimplantaten
für perkutane Anwendungen”:
www2.tu-berlin.de/fak3/fakultaetstag/Werkstoffwissenschaften/ FakultaetIII_Poster1.pdf
Mineralienatlas “Hydroxylapatit”:
www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/Hydroxylapatit
Informationen zum Hirscheber:
www.igminischwein-forum.de/viewtopic.php?t=1357
Das TU-Institut für Werkstoffwissenschaften und -technologien:
www2.tu-berlin.de/fak3/institute/wewi.php
Die Medieninformation zum Download:
www.pressestelle.tu-berlin.de/medieninformationen/
“EIN-Blick für Journalisten” – Serviceangebot der TU Berlin für Medien-vertreter: Forschungsgeschichten, Expertendienst, Ideenpool, Fotogalerien unter: http://www.pressestelle.tu-berlin.de/?id=4608

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